nun komme ich endlich dazu mal meinen Bericht über den 11.05.12 einzustellen.
Die Ausgangslage
Nachdem sich für den 11. Mai eine potentielle (Schwer-)Gewitterlage auch für den mittleren und südlichen Teil Deutschlands abzeichnete und das Timing erwarten ließ, daß ich auch mal wieder die Gelegenheit für ein Chasing haben könnte, verfolgte ich die Entwicklung der Modelle schon an den Vortagen sehr aufmerksam.
Bereits am Donnerstag abend konkretisierte sich die Annahme, daß die Kaltfront, die als Motor der Gewitterentwicklung bedeutsam sein sollte relativ langsam voran kommen sollte und weitere Treiber konvektiver Aktivität eher dünn gesäht wären. Genau das war die Krux der zu erwartenden Lage: Das langsame Voranschreiten der Kaltfront und die damit verbundene eher verhaltene Dynamik des von ihr ausgehenden Hebungsantriebes sowie das Fehlen bzw. die schwache Ausprägung anderer Antriebe ließ nicht viel Spielraum für die taktischen Möglichkeiten. Der Blick in die Modelldaten am Freitag Morgen bestätigte die Ausgangsituation nochmal. Zu erwarten:
- Im Bereich der Front schnelle Bildung einer Linie, die die südlichen Mittelgebirge erst am späten Nachmittag / frühen Abend erreichen würde und bis dahin so "versuppt" ist, daß mit wenig Beobachtbarem zu rechnen ist.
- Vorlaufende Entwicklungen am Nachmittag im Bereich einer Konvergenzline vor der Front möglich, wahrscheinlich aber nur mit Unterstützung der Orografie (Hebung am Anstieg der Mittelgebirge - evtl. aus der Rheinebene in Richtung Westerwald / Taunus / Odenwald)
- Einzelne vorlaufende Zellen nur mit Hilfe orografischer Hebung in Bereichen möglich, in denen starke Einstahlung zu einer ausreichenden Erwärmung der Grundschicht führt. Limitierender Faktor kann aber fehlende Feuchte sein.
Wie die Entwicklung tatsächlich laufen würde und ob es wirklich zur Bildung "interessanter" Zellen käme, war mit vielen Unsicherheiten behaftet. Zwar lieferten die Temperaturunterschiede vor und hinter der Front prinzipiell eine Menge Potential, dem gegenüber stand aber prefrontal eine starke CIN, relativ schwache Grundfeuchte(advektion) und außer der Orografie kaum etwas, das ausreichend Hebungsantrieb liefern konnte (Jet zu weit im Norden, Konvergenzen wenn überhaupt, eher schwach). So spielte der Fakor "Glück" mal wieder eine wichtige Rolle.
Die Entscheidung
Von diesen Möglichkeiten ausgehend, galt es nun eine Entscheidung zu treffen. Da ich wenig Lust auf "Linienchasing" hatte und die Linie mich ja sowieso irgendwann überqueren würde, war klar daß meine Taktik sich darauf richten sollte, möglichst die einzelne Zelle, oder im Falle einer Konvergenzlinienbildung den "tail-end-charlie" zu erwischen. Dank der wirklich exzellenten WRF-Karten von Janek Zimmer, die auch diesmal wieder die konvektive Lage sehr gut erfassten, war es nicht sehr schwer einen Basispunkt für das Chasing zu finden.
Ich positionierte mich also gegen 15.30 Uhr MESZ bei Hockenheim, von wo aus es viele Strassenoptionen in alle Richtungen gibt. Tatsächlich zeigten sich schon bald erste vorlaufende Entwicklungen am Nordrand des Odenwaldes, südlich von Darmstadt.

Allerdings war das für mich nicht wirklich eine Option, denn dort zu chasen ist ohne sehr gute Ortskenntnis - die ich nicht habe - sehr schwierig. (Wie so oft in Deutschland und besonders in den Mittelgebirgsregionen.) Ich spekulierte allerdings darauf, daß sich die Entwicklungen weiter Richtung Südwesten fortsetzen würden und ich "tail-end-charlie" (die "hinterste", meist südlichste Zelle einer Linie) irgendwo in den übersichtlicheren Regionen Rheinhessens oder der Pfalz zu fassen bekommen könnte. Andere vorlaufende Zellen im Bereich von Eifel und Westerwald waren für mich von Anfang an, zum einen wegen des Timings, zum anderen auch wegen mangelnder Ortskenntnis keine Option.
Es gab aber noch einen andern Grund mehr auf den Südwesten zu setzen... Die Karten zeigten für den späten Nachmittag eine CAPE- bzw. Theta-E-Zunge vom Elsas über das Saarland bis in die Pfalz. Diese CAPE-Zunge sprach für die Möglichkeit der Advektion ausreichender Feuchte, die in Verbindung mit der sehr guten Einstrahlung zum Triggern einer einzelnen Zelle im Bereich Pfälzerwald / Nordpfälzer Bergland führen könnte. So eine Zelle hätte ich leicht im Rheinhessischen beim "Vorbeiflug" abpassen oder aber sogar anfahren und ein Stück verfolgen können. Wenn...
Die Entwicklung
Nachdem die Zellbildung am nördlichen Odenwald nicht recht in die Gänge kam und sich sogar abschwächte, während sich vor der näher rückenden Front nun im Bereich Bad Kreuznach eine kräftige Zelle entwickelt hatte, beschloss ich, weiter nach Nordwesten zu fahren und nun mehr auf das Nordpfälzer Bergland zu setzen. So positionierte ich mich bei Grünstadt, um die weitere Entwicklung zu beobachten.
Schon auf der Anfahrt war im Westen eine Zellentwicklung erkennbar. Ich mußte nicht lange warten, denn die Zelle machte mehr und mehr einen vielversprechenden Eindruck.

So beschloss ich, ihr entgegen zu fahren und sie weiter nordwestlich an der A63 abzufangen. Das erlaubte zum einen bessere Einblicke und zum anderen die Möglichkeit, die Zelle auf ihrem Nordostkurs ein Stück weit zu verfolgen. Eigentlich mag ich kein Chasen über Autobahnen, schon garnicht am Freitag Nachmittag, aber die A63 ist nicht so stark frequentiert und war in dieser Situation fast schon die ideale Wahl.


Noch vor Erreichen der A63 bei Dreisen fuhr ich ein Stück unter dem hochbasigen, aber gut ausgeprägten Aufwindbereich. Kurz vor der Autobahn kam ich dann kurz unter das Auf-/Abwindinterface und bekam etwas kleinen Hagel (ca. 1 cm) ab. Ich entschied mich abzuwarten und mir einen Blick auf die sonnenbeleuchtete Südwestseite der Zelle zu gönnen. Sie präsentierte sich dann auch wirklich prachtvoll.



Dabei zeigte sich auch die gute Organisation der Zelle mit sauber getrenntem Auf- und Abwind und einer wirklich markanten und interessanten Aufwindstruktur.

Also nutzte ich die Chance, die Zelle ein Stück weiter nach Nordosten zu verfolgen. Dabei zeigten sich hin und wieder Pileusbildungen am Aufwindturm.

Ein Windpark bei Flomborn, südlich von Alzey, bot nun schöne Blicke auf die schnell weiter ziehende Zelle, die ihren Kurs inzwischen auf Ost geändert hatte.

Während sich von Nordwesten die Kaltfront ankündigte.

Zu dieser Zeit schickte sich die Zelle schon an den Rhein zu überqueren, was eine weitere Verfolgung sehr erschweren, wenn nicht unmöglich machen würde. Daher nutzte ich den guten Aussichtspunkt, um von dort aus ihre weitere Entwicklung, aber auch die der heranziehenden Front zu beobachten.
Noch stand die Zelle frei, wenn man mal von etwas Begleitgewölk absieht.

Und die abgesetzte Aufwindbasis - man darf es ruhig Wallcloud nennen - beeindruckte noch immer.

Die Frontlinie rückte aber unablässig näher und es war nur eine Frage der Zeit, bis die Zelle von ihr eingeholt werden würde.


Etwas später war es dann soweit, daß erste prefrontale Schichtwolken die Zelle umflossen.

Die Wallcloud veränderte etwas ihre Struktur, blieb aber stabil.

Jedoch auch an der aufziehenden Frontlinie zeigten sich interessante Strukturen.



Leider zeigte sich keine wirklich schöne Shelf und ein Überrollenlassen versprach an dieser Stelle auch nicht unbedingt interessante Einblicke. Also entschloss ich mich, noch ein Stück nach Osten bis zum Rhein zu fahren. Vielleicht gäbe es ja doch noch den ein oder anderen schönen Blick zu erhaschen.
Trotzdem die Zelle inzwischen von prefrontalem Gewölk eingeschlossen war, zeigte sie sich weiter sehr aktiv.


Strassenführung, Bewuchs und Besiedelung ließen dann aber leider keinen freien Blick mehr zu, trotzdem war gut erkennbar, daß die Zelle keineswegs schwächelte.


Blieb nun die Frage nach dem weiteren Vorgehen. Zurück durch den Regen der inwischen deutlich vorgerückten Linie wollte ich nicht. Also querte ich den Rhein mit der Fähre bei Gernsheim, was mir auch Zeit und Gelegenheit gab, mir die Situation mal näher auf dem Radar zu betrachten. Schnell stand der Entschluss fest, ein Stück über die A67 nach Süden zu fahren, um eventuell doch noch etwas Sehenswertes entlang der aufziehenden Linie mit zu bekommen. Leider zeigte die sich aber weitgehend strukturlos und so beschloss ich, bei Worms wieder auf West- und damit Heimatkurs zu gehen. Auf der A61 war mal wieder ein Baustellenstau, so daß ich es bevorzugte über Bundes- und Landstraßen Richtung Nordwesten zu fahren. Das erlaubte dann noch ein paar spätabendliche Blicke auf die abziehende Linie und "Nachzügler" im Norden.



Fazit
Meine Taktik war aufgegangen und mit einer guten Protion Glück konnte ich eine sehr interessante Zelle beobachten, mit der ich so kaum zu rechnen gewagt hatte. Trotz ihrer beeindruckenden Struktur war das Unwetterpotential der Zelle durch ihre vergleichsweise geringe vertikale Erstreckung eher begrenzt. Ob es eine (low topped) Superzelle war, ist nicht so einfach zu beantworten. Einerseits spricht die sehr gute Organisation sowie die markante Basis- und Aufwindstruktur sehr dafür, andererseits war weder optisch noch auf dem Radar wirklich Rotation zu erkennen. Berichte über Großhagel oder andere heftige Wetterphänomene liegen nicht vor. Die Zelle existierte ca. 3 Stunden als sie kurz nach 20.00 Uhr MESZ zwischen Aschaffenburg und Würzburg vollends von der Linie eingeholt wurde. Sie blieb aber noch bis 22.50 eindeutig auf dem Radar erkennbar und verschwand dann im Dreieck Suhl - Gera - Plauen. Diese lange Lebensdauer ist sicher der sehr guten Organisation der Zelle zu verdanken.
Gruß,
Andreas